21.8.12

Geburt - 2. Teil

Ihr werdet nach diesem Blog-Eintrag verstehen, weshalb ich die Geschichte der Geburt in zwei Teilen geschrieben habe.

Als wir im Gebärsaal ankamen, riet mir die Hebamme, noch einmal zur Toilette zu gehen, da dies die Geburt noch beschleunige. Ich spürte, wie Julia immer weiter nach unten drückte.

Die Hebamme nahm das CTG-Gerät hervor und suchte Julias Herztöne. Da wendete sich das Blatt plötzlich. Von den eben gerade noch so grossen Glücksgefühlen verspürte ich plötzlich eine enorme Angst. Ich konnte nichts hören, die Hebamme auch nicht. Und wir wussten beide, wie die CTG-Geräusche hätten klingen müssen. Diese Angst kannte ich nicht. So etwas hatte ich noch nie erlebt! Ich konnte beinahe nicht mehr atmen, hatte furchtbare Panik, dass es unserem Baby nicht gut ging. Ich bekam sofort eine Sauerstoffmaske und die Hebamme bat meinen Mann, die anderen Krankenschwestern zu holen. In der Zwischenzeit rüttelte und schüttelte sie meinen ganzen Bauch, stellte das Bett schräg, sodass meine Füsse oben waren und mein Kopf unten. Sie hoffte, dass sich das Baby so erholen würde.

Mein Mann kam zurück und fragte, wo denn diese Krankenschwestern wären. Er war noch ganz ruhig, hatte noch nicht das geringste Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. So machte er sich noch einmal auf den Weg, diesmal ein bisschen schneller und kam dann auch sofort mit zwei Krankenschwestern zurück. Meine Hebamme delegierte sofort Aufgaben wie Frauenarzt in den OP bestellen, Kinderarzt, OP-Saal, Infusion organisieren, Bett bringen und selbst suchte sie verzweifelt nach den Herztönen. Während einer Wehe versuchte sie, Julia zurück zu schieben, das tat fürchterlich weh.

Sie übergab das CTG an eine Krankenschwester und steckte mir die Infusion. Ich bekam ein Mittel, das die Wehen sofort stoppte. Immer wieder sagte sie, dass ich tief atmen müsse, dass ich fürs Baby atmen müsse. Ich konnte fast nicht mehr, denn meine Angst war so gross. Ich wurde auf ein anderes Bett gelegt und sofort in den OP gefahren. Im Lift sah ich zum Glück meinen Mann wieder.

Als ich in den OP geschoben wurde, erwarteten uns dort schon viele Anästhesisten und andere Pfleger. Mein Mann wurde wieder weggeschickt, jetzt war ich alleine. Alleine mit ganz vielen Menschen, die sich nun alle um uns kümmern wollten. Ich fühlte mich ausgeliefert und bloss gestellt. Der Anästhesist sagte, er würde eine Rückenspritze geben. Falls diese nicht beim ersten Mal Wirkung zeige, müsse er sofort eine Vollnarkose geben.

Da ich so verkrampft war, konnte ich mich kaum in die richtige Position bringen. Sie zerrten an mir und konnten die Spritze erfolgreich machen. Dann kam auch mein Gynäkologe. Er sagte noch, dass sie aufhören sollten mit desinfizieren, da sie beginnen müssten. Das Tuch wurde beim ersten Schnitt dann noch aufgehängt. Der Anästhesist sagte noch, dass ich die Operation spüren würde, weil sie nicht warten können, bis die Narkose wirkt. Zum Glück kam mein Mann wieder zu mir und sprach mir Mut zu. Er wiederholte immer wieder, dass alles gut komme.

Nach ein paar Minuten Drücken und Ziehen spürte ich, wie mein Bauch zusammensackt. Ich hörte aber kein Babygeschrei. Dieser Moment war unbeschreiblich schwierig. Nachher wurde ich ruhiger. Ich bekam jetzt Sauerstoff durch die Nase und konnte somit wieder sprechen. Zum ersten Mal konnte ich sagen, wie gross meine Angst war. Das tat gut!

Da mein Blutdruck in den Keller fiel, musste ich mich übergeben und verlor die Kontrolle über das ganze Geschehen. Ich sagte meinem Mann noch, er solle beten, ich könne nicht mehr. Er sagte, er wäre schon dran. Für mich war es furchtbar, nichts mehr im Griff zu haben. Ich wusste nicht, wie es um unser Baby steht, konnte nicht dorthin, hatte keine klaren Gedanken mehr.

Die Anästhesisten gaben mir ein Mittel, um den Blutdruck wieder zu stabilisieren. Es kamen immer mehr Leute rein. Immer wieder ging die Schiebetür auf. So kam es auch, dass ich mit ansehen musste, wie unser Baby reanimiert wurde. Diese Bilder verfolgten mich lange und auch heute noch ab und zu.

Durch die Medikamente wurde mein Blutdruck zu hoch. Ich hatte starke Kopfschmerzen und konnte wieder nicht klar denken. Ich sah noch einmal, wie unsere Tochter reanimiert wurde. Nach weiteren Medikamenten ging es mir deutlich besser. Die ruhige Atmosphäre im OP-Saal half mir, mich zu beruhigen und unsere Tochter in guten Händen zu wissen. Ich realisierte, dass ich ohnehin kein Einfluss hätte und auch nicht über Leben und Tod entscheiden konnte.

So warteten wir das Ende der Operation ab. Mein Gynäkologe ging sofort ins Nebenzimmer und kam kurze Zeit zu uns. Er teilte uns mit, dass es sehr ernst um unser Baby stehe. Er gehe sofort zurück zu unserem Baby. Da realisierte auch mein Mann, dass es wohl viel schlimmer ist, als gedacht. Die Anästhesisten kümmerten sich um meinen Mann, der nach einem Zusammenbruch auf dem Boden lag. 

Ich wurde anschliessend auf die Intensivstation verlegt, mein Mann kam mit. Da lag ich nun in einem Einzelzimmer, mein Mann sass neben mir. Wir warteten. Wir wechselten kaum ein Wort. Ich versuchte zu beten. Wir wussten nicht, was wir hoffen sollten. Mir war sehr bewusst, dass unser Baby lange keinen Sauerstoff hatte und deshalb wahrscheinlich ein enorm schweres Leben hätte, würde es denn überleben. Diese Viertelstunde, in der wir alleine waren, nahm fast kein Ende und fühlte sich wie Wochen an.

Dann sahen wir, wie die grünen Gestalten mit Tränen in den Augen zu unserem Zimmer kamen. Unser Frauenarzt voran mit einem Baby, das in einer hellblauen Decke lag. Er sagte: "Da bring ich euch ihr Töchterchen. Sie hat es leider nicht geschafft." Im nächsten Moment übergab er sie uns.

Wir hatten eine Tochter. Sie sah wunderschön, klein und fein aus. Und sehr zufrieden. Alle sagten uns, wie Leid es ihnen tat. Sie liessen uns dann alleine mit unserer Tochter. Wir konnten klingeln, wenn wir etwas haben oder wissen wollten. Ab und zu kam eine Krankenpflegerin vorbei und schaute nach uns, ansonsten hatten wir Zeit mit unserer Julia. Zeit, sie kennenzulernen, Zeit, sie zu sehen, zu riechen und zu fühlen und Zeit, zusammen zu weinen.

Der zweite Teil der Geburt war für mich traumatisch. Ich kämpfe immer wieder mit den Bildern der Geburt. Ich halte mir dann auch vor Augen, dass der erste Teil der Geburt ja sehr schön war und wir während den schlimmsten Stunden unseres Lebens so gut betreut und begleitet wurden.

Ich schreibe ein anderes Mal mehr über Julia, über unsere kurze Zeit, die wir mit ihr noch verbringen durften.


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