31.8.12

Erinnerung

~
Je schöner und voller die Erinnerung,
desto schwerer ist die Trennung.
Aber die Dankbarkeit verwandelt die
Qual der Erinnerung in eine stille Freude.
Man trägt das vergangene Schöne nicht
wie einen Stachel, sondern wie ein
kostbares Geschenk in sich.
~


Dieses Gedicht hat Dietrich Bonhoeffer geschrieben. 

Neun Monate lang hatten wir Zeit, wunderschöne Erinnerungen mit Julia zu schaffen. Deshalb ist es auch so schwierig, von ihr getrennt zu sein. Dennoch könnte ich mir nicht vorstellen, dieses Geschenk nie in meinen Armen gehalten zu haben. Julia ist und bleibt unsere Freude!!!

Die Beerdigung

Dieses Kapitel passt sehr gut zu diesem trüben Wetter von heute. Auch an Julia's Beerdigung hingen die Wolken über dem Friedhof.

Am Morgen der Beerdigung kam mir in den Sinn, dass ich gerne noch Lieder-Blätter schreiben würde, damit man mitlesen kann. Wir hatten uns für drei Lieder von der CD "Mis Chind" entschieden. So verging die Zeit am Morgen sehr schnell und ich hatte noch gar nicht Zeit, zu überlegen, wo ich eigentlich hingehen würde.

Als wir im Auto sassen, sagte ich auf der ganzen Fahrt zu meinem Mann, dass ich das nicht wolle und ich aussteigen möchte. Die anderen könnten das Ganze ja alleine - ohne uns -  machen. Aber es wäre doch nicht zumutbar, dass eine Mutter und ein Vater ihr Kind beerdigen müssen. Mein Mann sagte nicht viel. Der Schmerz stand auch ihm ins Gesicht geschrieben.

Wir gingen so spät wie möglich, sodass wir nicht noch warten mussten. Diese Entscheidung war wohl richtig. Nun standen wir vor dem Friedhof. Viele Tränen flossen schon vor dem Zaun. Ich wollte da nicht rein und wollte mein Kind nicht unter die Erde legen.

Zuerst mussten wir ein Stück über den Friedhof gehen. Die seelischen Schmerzen und auch die Schmerzen von der Operation machten diesen Weg zum schwersten Gang meines Lebens. Ich wusste auch genau, was mir bevorsteht. Ein paar Sonnenstrahlen schienen durch die Bäume als wir bei Julias Grab ankamen. Der Friedhofgärtner hatte für mich einen Stuhl bereitgestellt.


Der Atem blieb beinahe stehen. Ich sah dieses kleine, weisse Särglein im Grab. Wir wollten, dass der Sarg schon unten war, denn dafür hätten wir die Kraft nicht gehabt. Die ganze Verzweiflung, der Schmerz und die Trauer waren wohl kilometer weit zu hören. Hatten wir nicht schon genug gespürt, was es heisst, wenn es einem das Herz zerreisst?



Der Anblick ins Grab war furchtbar, doch gleichzeitig lag sie so schön in Blumen gebettet. Unsere Eltern hatten ganz feine Blumen für Julia ausgewählt. Nach ca. fünf Minuten betete der Pfarrer für uns und dann verabschiedeten wir uns von Julia. Viel länger hätte ich das dort auch nicht mehr überstanden.

Vom Grab liefen wir zur Friedhofskapelle. Ich spüre noch heute meine zittrigen Beine, den Schmerz, Julia verlassen zu müssen. Meine Schwester spielte in der Friedhofskapelle Klavier. Sie spielte wunderschön und baute von unserer Musikdose noch das "Schlaf, Kindlein, schlaf" in ein anderes Stück ein. Auch das war herzzerreissend, aber wunderschön. Ich weiss heute noch nicht, wie sie spielen konnte. Wir sind ihr für immer dankbar.

Dann hielt der Pfarrer eine Predigt. Für ihn war es auch sehr schwierig, denn er kannte uns gut und fühlte sehr mit uns mit. Er sprach über die Trauer und ging dann zur Hoffnung über. Es tat uns gut. Ja, Julia ist im Himmel und dort ist sie gesund. Dort werden wir sie irgendwann wiedersehen und in unsere Arme schliessen können. Wir hatten vom Pfarrer die Predigt noch schriftlich bekommen, sodass wir sie nocheinmal durchlesen können, wenn wir das Bedürfnis dazu haben.



Schon während der Predigt fiel uns ein Stein vom Herzen. Wir fühlten uns leichter, hatten den schwersten Gang unseres Lebens geschafft. Wir wussten zugleich, dass der Weg der Trauer lang, wir aber sehr gut aufgefangen würden.

Wir haben zur Beerdigung nur unsere beiden Familien und zwei Freundespaare eingeladen. Da Julia ein feines Mädchen war, wollten wir, dass jeder etwas farbiges anzieht. Das war auch gut so!

Nach dem Gottesdienst fuhren mein Mann und ich sofort nach Hause. Durch den Regen. Auch der Himmel weinte mit uns. Meine Eltern kamen etwas später auch zu uns. Für uns war es wichtig, nach der Beerdigung nicht alleine zu sein. So konnten wir noch einmal über die Beerdigung sprechen und das wiederum half allen bei der Verarbeitung dieses unglaublich schwierigen Tages.

Am Abend sahen wir aus dem Fenster einen Regenbogen!



30.8.12

Raguso

Am Abend vor der Beerdigung waren mein Mann und ich alleine. Wir besprachen den morgigen Tag, unsere Ängste vor dem definitiven Abschied des Körpers von Julia. Das alleine war schon schwierig genug, aber da kam noch diese grosse Stille dazu. Es war niemand mehr auf Besuch und wir mussten  diese bedrohliche Stille aushalten.

Aber da war ja doch noch jemand.

Unser Kater Raguso meldete sich wieder einmal! Bei ihm ist es nicht ungewöhnlich, dass er für eins, zwei Wochen sein Nassfutter selbst besorgt und sich im Wald einquartiert. Ausgerechnet jetzt, wo wir so das Bedürfnis hatten, nicht alleine zu sein, kam unser Streuner wieder nach Hause.

Und das nicht etwa leise, sondern mit einem lauten Miauen. Immer wieder strich er uns um die Beine, wollte gestreichelt werden und streichelte uns. Wir denken, dass er unsere tiefe Trauer gespürt hatte. Denn sonst kommt er meistens sein Fressen holen und verschwindet dann wieder nach draussen. Aber an diesem Sonntagabend war es anders. Er blieb und legte sich zu uns hin.

Sein Miauen durchbrach die unheimliche Stille. Seine Nähe gab uns doch ein bisschen das Gefühl, wenigstens noch für unseren Kater dasein zu müssen.

Bevor wir ins Bett gingen, sagte ich zu meinem Mann, dass das die Rettung war, überhaupt einschlafen zu können. Auch wenn es kein Babygeschrei war und auch wenn sein Fell sich nicht wie Babyhaut anfühlte. Solche Kleinigkeiten helfen manchmal sehr!



29.8.12

Abschied von der kleinen Raupe

Wir haben das Bilderbuch "Abschied von der kleinen Raupe" nach dem Tod von Julia geschenkt bekommen. Die Geschichte vom wunderschönen Leben einer Raupe und ihrer Freundin, der Schnecke, wird eindrücklich beschrieben. Die Raupe muss dann aber gehen. Sie verwandelt sich in einen Schmetterling. Die Schnecke versteht das nicht, weiss aber, dass es der Raupe bestimmt gut geht.



Mir gefällt das Symbol "von der Raupe zum Schmetterling" sehr gut, denn im Himmel ist Julia geheilt und muss es sehr schön sein. Das hätten wir ihr hier nicht geben können. Die Geschichte ist kindgerecht geschrieben und thematisiert dieses schwierige Thema. Auch die Bilder sind fein gestaltet.




Dieses Buch hat Heike Saalfrank geschrieben und kann ich sehr empfehlen!


Erste Konfrontationen

Seit dem Tod unserer Julia machen mir besonders die ersten Konfrontationen Mühe. Ich weiss dann nicht, wie ich reagiere und kann meine Emotionen nicht gut kontrollieren. Wenn ich die erste Konfrontation geschafft habe, machen mir weitere Begegnungen eigentlich nichts mehr aus.

Es gibt viele erste Male und manchmal komme ich mir dabei wie ein kleines Kind vor, das alles neu lernen muss:
  • Begegnungen in der Nachbarschaft
  • Einkaufen gehen
  • Telefonate 
  • Spaziergänge
  • Besuch
  • Verwandte wiedersehen
  • In die Apotheke gehen (wo ich damals die Folsäure gekauft hatte)
  • Frauenarztpraxis
  • Kinderzimmer
  • Unbekannten Babys begegnen (ist heute noch schwierig)
  • Bekannten Babys begegnen (fällt mir nicht mehr schwer)
  • Schwangere sehen
  • Familien mit Kinderwagen passieren
  • Arbeitskollegen wiedersehen
  • Familienbüchlein durchlesen
  • Alleine sein
  • Alleine weggehen
  • Mit dem Familienauto wegfahren
  • Auf die Baustelle gehen (wo wir doch so gerne mit Julia gewohnt hätten)
  • Auf den Friedhof gehen
  • An einer Taufe sein
  • Mit dem Präsentservice sprechen (nein, mein Kind lebt nicht...)
  • Mit meinem Chef sprechen
  • etc. etc.
Diese ersten Konfrontationen gibt es fast jeden Tag. Und je länger ich mit der ersten Begegnung warte, desto schwieriger wird es. Auch wenn diese Konfrontationen zuerst unangenehm sind, sie helfen mir zurück ins Leben und bei der Heilung meiner Seele.

Wenn ich eine erste Konfrontation geschafft habe, fühle ich mich meistens ein bisschen erleichtert und manchmal sogar stolz. Wie ein kleines Kind.

Was wäre die Alternative? Konfrontationen auszuweichen? Ich denke, dann muss man sich in den eigenen vier Wänden einschliessen. Diese Konfrontationen warten schonungslos um jede Ecke. Sich zu isolieren bedeutet aber auch, den Kontakt zur Welt zu verlieren. Sicherlich hätte das grosse psychische Folgen. Unsere Psychen werden ohnehin schon auf die Probe gestellt in solchen Situationen, da kämen wir wohl nicht mehr selber raus, würden wir uns isolieren.

Fazit: Auch wenn es immer wieder schmerzt, diese ersten Konfrontationen bringen uns weiter. Sie helfen uns dabei, wieder glücklich zu werden!

Über den eigenen Schatten springen... Juli 2012

28.8.12

Organspende

Gestern habe ich bei Punkt 12 einen guten Beitrag über die Organspende gesehen. Ich muss gestehen, ich hatte mich bis zum Tod von Julia mit meinem eigenen Tod noch gar nicht richtig auseinandergesetzt.

Im Beitrag von Punkt 12 wurden viele Fragen zur Organspende beantwortet. Es gibt noch ein Video dazu, aber es gelingt mir nicht, den Link hier einzufügen.

Beitrag von Punkt 12

Eine Sicherheit, dass alles korrekt verläuft, gibt es nicht.
Eine Sicherheit, ein gesundes Baby in den Armen zu halten aber auch nicht.
Auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass ich schon bald sterben werde, ist es wichtig, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen.
Wenn also ein anderer Mensch länger leben kann mit meinen Organen, was spricht dagegen? Eine Organspende kommt ja sowieso nur in Frage, wenn ich sterben würde.
Was meint ihr dazu?

27.8.12

Mis Chind

Trost zu finden in den schwersten Stunden unseres Lebens ist schwierig. Wir haben von einem befreundeten Ehepaar im Spital eine CD bekommen. Sie heisst "Mis Chind" von Christoph Fankhauser. Diese CD wurde speziell für Eltern gemacht, die einen schweren Abschied zu verkraften haben.

Hier ein kleiner Ausschnitt, der mir sehr gut gefällt und die Situation so treffend beschreibt:


Säg mir, warum, warum schient d Sunne no,
säg, warum isch e neue Tag no cho?
Am beschte wär s d Zyt würdi eifach bliebe stah,
du mis Chind, du bisch nümm da.
S isch so, wie wen e Teil vo mir wäggrisse wär,
e Lascht wo uf mer liegt, unändlich hert u schwär.
Mir bliebt jetzt nume no e töife Schmärz.
Du bisch nümme da, mis Chind, nach dir sehnt sich mis Härz.

Doch ganz am Änd vo mire Läbeszyt
chöi mir üs wieder gseh, dert wo s ke Schmärz meh git.
Dert wo du jetzt scho bisch, dert wartisch du uf mi,
scho hüt freuen i mi uf di.
I rüefe: hilf mir Gott, i dere schwäre Zyt,
du bisch dä, wo trotz allem Chraft u Hoffnig git.
Läb wohl mis Chind. Du geisch, i bliebe da.
Aber mi u di, mis Chind, Gott wird üs beidi nie la gah.


Wenn man nach Hause kommt...

Im Spitalzimmer bleibt man von vielen Konfrontationen verschont. Man begegnet keinen glücklichen Eltern, keinen Babys, keinen Schwangeren, keinen Babyartikeln und kann entscheiden, wen man sehen möchte oder nicht.

Für mich war klar, dass trotz all den Konfrontationen, die kommen würden, so schnell wie möglich nach Hause gehen wollte. Nach fünf Tagen Spitalaufenthalt war es dann endlich so weit.

Wir mussten die Telefonkarte noch bei der Rezeption abgeben. Da kam schon die erste schwierige Konfrontation auf uns zu. In der Cafeteria sassen zwei glückliche Familien mit ihrem neugeborenen Baby. Ich konnte gerade noch vorbei gehen und das ganze versuchen zu ignorieren. Bei der Rezeption hatte aber auch noch ein anderes Paar dieselbe Absicht und hörte nicht mehr auf, sich für den wunderbaren Aufenthalt zu bedanken. Was hatten sie dabei? Ihr Baby im Maxi Cosi. Wo war unser Baby? Beim Bestattungsinstitut in einem kleinen Sarg. Unser Maxi Cosi? Bereit und leer. Diese Situation zerriss mir das Herz.

Auf der Heimfahrt sahen wir so viele Kinderwagen wie noch nie. Es war jedesmal wieder ein Stich ins Herz.

Zum Glück musste ich nicht alle vorbereiteten Babysachen bei uns zu Hause antreffen, da unsere Eltern sie alle ins Kinderzimmer gestellt hatten.

Es war so komisch, so still und ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wie ich fühlen sollte noch was ich tun sollte. Diese Situation wurde durchbrochen, als die freiberufliche Hebamme kam. Sie fragte nach, was geschehen war und kontrollierte die Naht etc. Dadurch, dass ich unser Erlebtes erzählen konnte, fühlte ich mich ein bisschen mehr zu Hause.

Am Abend hatte ich dann das Bedürfnis, in Julias Kinderzimmer zu gehen. Mit dem Wissen, dass es mich wahrscheinlich zusammenlegen würde, wollte ich diese grosse Hürde unbedingt noch überwinden. Es war tatsächlich unbeschreiblich schwierig, all den Sachen zu begegnen, die ich mit so viel Liebe für Julia bereitgestellt. Ich malte mir immer wieder aus, wie es dann mal sein wird, mit unserem Baby in diesem Zimmer zu sein. Ich hatte viele Träume - und diese waren nun alle geplatzt.

Heute ist Julias Kinderzimmer für mich ein schöner Ort. Ich gehe gerne hinein und fühle mich dann immer ganz nahe bei Julia.


25.8.12

Julia

05.06.2012
06.50 Uhr
2900 Gramm
49 Zentimeter


I <3 u!

Unser schlafendes Baby

In diesem Post möchte ich euch erzählen, wie wir die Zeit mit Julia nach der Geburt verbracht hatten.

Anfangs waren wir auf der Intensiv-Station. Dort war es extrem still. Vor allem stellt man sich immer darauf ein, wie das Baby dann schreien wird und die Ruhe vorerst mal vorbei ist. Bei uns war es anders. Diese erdrückende Stille war anfangs fast nicht auszuhalten.

Meine ersten Gedanken waren, was als nächstes kommen würde. Wann müssen wir unser Baby abgeben? Wann begraben? Wann geben wir wem Bescheid? Wann kann ich wieder nach Hause gehen? Wann gehe ich wieder zur Arbeit? Wo? Ich wäre am liebsten Aufgestanden, hätte alles schnell erledigt, spürte eine grosse Unruhe in der Ruhe. Das klingt widersprüchlich, war es vom Gefühl her auch.

Diese ersten Gedanken konnte ich glücklicherweise nach ein paar Minuten ablegen. Dann war ich bereit für unsere Tochter. Bereit, diese Situation anzunehmen, unsere Tochter zu riechen, zu sehen, zu fühlen und das immer wieder. Unsere Tränen flossen in Strömen. Wir waren sehr traurig. Viele Leute haben uns gefragt, ob wir es da schon realisiert hatten. Ja! Ich hatte von Anfang an realisiert, dass unsere Tochter gestorben war. Ich fühlte den grossen Schmerz, dass sie nicht mehr da war. Gleichzeitig fühlte ich mich so stolz, eine für uns perfekte Tochter in den Armen zu halten. Ich fühlte sogar Frieden, da ich wusste, dass es Julia im Himmel gut gehen würde. Ich hatte von Anfang an ein riesiges Vertrauen, dass Gott unsere Tochter nahe bei sich hat und es ihr gut geht. Wütend war ich nicht.

Ich hätte nie gedacht, dass ich so reagieren würde. Zuvor versuchte ich auch immer, stark zu sein. Das musste ich jetzt nicht. Meine Tränen flossen die ganze Zeit und es spielte mir keine Rolle, wenn jemand ins Zimmer kam. Ich war so sehr auf Julia, meinen Mann und mich konzentriert.

Julia war noch ganz warm. Sie sah aus, als wäre sie am Schlafen. Sie sah sehr zufrieden aus. Ich stellte mir die Frage, ob der Himmel so schön ist, wie sie zufrieden aussieht. Sie war ganz zart, hatte feine Wangen, ihre Fingerchen hatten alle einen Fingerabdruck, in ihren Händchen sah man die winzigen Äderchen. Ihre Augenbrauen und Wimpern waren wunderschön und sie hatte viele lange, braune Häärchen. Ihre eher dünnen Beinchen liessen uns erahnen, dass sie wahrscheinlich gelähmt war. Sie passte so gut in unsere Arme. Es fühlte sich wunderbar an.

Mein Mann ging mit der Hebamme im Gebärsaal unsere Kamera holen und gab ihr Julias Kleider und das Plüschtier, das wir ihr zur Geburt schenken wollten. Die Krankenschwester machte unsere ersten Familienfotos. Dann folgten sehr viele Fotos von unserer Tochter. Wir wollten viele Fotos haben!

Nach ein paar Stunden kam die Hebamme wieder zu uns. Diesmal war es eine andere Hebamme, da es einen Schichtwechsel gab. Auch sie war sehr einfühlsam und sagte immer wieder, wie hübsch unsere kleine Tochter wäre. Solche Sätze trösten, sie tun gut. Sie fragte uns, ob sie Julia schon waschen, messen, wiegen und anziehen soll. Wir waren damit einverstanden.

Sie fragte uns, ob wir den offenen Rücken schon gesehen hatten. Das kostete mich zu viel Überwindung. Sie ermutigte uns aber, es trotzdem zu tun. Der offene Rücken wäre nicht gross und würde gar nicht schlimm aussehen. Nach kurzem Zögern willigten wir ein. Es war nicht schlimm, ich hatte es viel grösser erwartet. Das Loch war etwa so gross wie ein 2-Franken-Stück. Und es stand nicht hervor. Konnte das wirklich Julias Todesursache sein? Ich meine, es gibt Kinder, dessen Loch im Rücken viel grösser ist und sich auch herauswölbt.

Die Hebamme nahm Julia in einem Bettchen mit. Dann kam schon wieder diese unaushaltbare Stille. Mein Mann rief unsere Familien und engstens Freunde an. Das war furchtbar! Schliesslich hatten sich alle so auf die Ankunft von Julia gefreut. Wir sagten, dass sie am Nachmittag vorbeikommen dürften, wenn sie das wollten. Allerdings wollten wir am ersten Tag nur unsere beiden Familien sehen.

Um 11.30 Uhr wurde ich auf die normale Station verlegt. Mir ging es körperlich gut und hatte noch keine Schmerzen. Die Narkose wirkte noch. Auf dem Weg auf die Station fragte ich, ob ich bitte in ein Zimmer gehen dürfte. Ich würde es im Moment nicht aushalten, eine glückliche Mutter mit einem schreienden Baby neben mir zu haben. Die beiden Krankenschwestern sagten, dass sie das ohnehin vorgehabt hätten. So kam ich in ein Einzelzimmer ganz am Ende des Flurs, ein Stockwerk über der Geburtenabteilung.

Um 12.00 Uhr kamen dann meine Eltern schon. Sie hatten sich sofort auf den Weg gemacht. Nach und nach füllte sich das Zimmer. Auch der Gynäkologe kam vorbei und fragte, wie es uns ging. Es sagte auch, dass Julia viel grünes Fruchtwasser hatte. Das wäre ein Zeichen, dass sie ins Fruchtwasser gestuhlt hätte, weil sie vielleicht im Stress war. Sie hätte deswegen auch nicht beatmet werden können, weil ihre Luftwege verklebt waren. Sie war da allerdings auch schon von uns gegangen.

Dann brachte unsere Hebamme Julia wieder zu uns. Sie lag wunderschön in ihrem Bettchen. Unsere Familien durften Julia kennenlernen und auch halten. Das war wichtig, denn nun wussten sie auch, von wem wir sprachen, auf wen wir uns so gefreut hatten und welch grossen Schmerz wir empfanden. Dabei ist ja nicht zu unterschätzen, dass auch unsere Familien unter dieser Situation litten.

Den ganzen Nachmittag über war unser Mädchen bei uns. Es war wunderschön, sie festhalten zu können! Sie sah sehr hübsch aus in ihrem weissen Strampler. Unsere Familien bestaunten Julia und hielten sie fest. Eigentlich sah man ihr nicht an, dass sie nicht mehr lebte, ausser, dass sie sich nun kalt anfühlte.




Am Abend verbrachten mein Mann und ich alleine Zeit in unserer kleinen Familie. Wir hatten noch ein Gespräch mit meinem Gynäkologen und der Hebamme bezüglich Autopsie. Da wir uns für die Autopsie entschieden hatten, wussten wir, dass wir am nächsten Morgen unser Mädchen weggeben müssen. Wir haben also so viel "Julia" wie nur möglich eingesogen und schöne Erinnerungen geschaffen!

Die Nacht war schwierig. Eigentlich war ich von den Schmerzmitteln ziemlich müde, auch von den vielen Emotionen. In den Träumen machte ich immer wieder die Geburt durch. Zudem vermisste ich unser Mädchen sehr. Sie hatten sie über die Nacht mitgenommen, sodass sie nicht zu sehr entstellt sein würde am Morgen. Ich war zugleich auch froh, ein bisschen Abstand zu bekommen. Meine Bindung zu Julia war so gross, dass ich es mir sowieso nicht vorstellen konnte, sie überhaupt wieder her zu geben.

Am Morgen früh brachte unsere Hebamme, die bei der Geburt dabei war, Julia wieder. Wir sahen, dass sich der Körper bereits veränderte. Das machte uns die Entscheidung auch einfacher. So sagten wir, dass wir sie in guter Erinnerung behalten möchten und sie nach der Autopsie nicht mehr sehen wollen. Mir machte es grausam zu schaffen, mich immer wieder von ihr verabschieden zu müssen. Ich wusste, dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommen würde.

So verbrachten wir noch einmal eine wunderschöne, sehr schmerzhafte Stunde mit Julia. Ich prägte mir ein, wie gross sie ist, damit ich das nie vergessen würde. Wir sprachen mit ihr und hielten ihr Händchen.

Diese Stunde ging schnell vorbei. Unsere Hebamme musste sie für die Autopsie abholen kommen. Das war der nächste unendlich schwierige Schritt. Wir wussten, dass wir sie nun das letzte Mal gesehen hatten. Das war furchtbar! Wir weinten bitterlich, konnten uns nicht mehr beruhigen. Doch wir mussten sie abgeben.

Danach kam die schlimmste halbe Stunde. Wir waren alleine. Unser Mädchen war weg und wir so traurig und der Schmerz liess nicht nach.

Erst später, als die Hebamme wieder kam, konnten wir miteinander weinen, über unsere Schwangerschaft mit Julia erzählen und sie brachte uns Fotos von ihr, wo wir sie am dringensten benötigt hatten. Auch ihre Fussabdrücke und eine Trauerkärtchen der Station. Sie gab sich so viel Mühe, uns das Leid wenigstens ein bisschen wegzunehmen. Sie packte auch noch zwei Armbändchen aus. Eines mit ihren Daten drauf und das andere war rosarot mit ihrem Namen. Julia durfte ihre behalten und so haben wir nun etwas, was Julia auch hat! Solche Kleinigkeiten kriegen ein grosses Gewicht, es sind unsere Erinnerungen an unsere Julia!


24.8.12

Mama... oder nicht?

Bin ich eine Mama oder bin ich keine? Darf ich mich Mama nennen oder doch nicht? Bin ich erst eine Mama, wenn mein Kind lebt?

Die Meinungen sind unterschiedlich, aber ich kenne meine Meinung.

Es gibt Leute, die sagen, dass ich irgendwann auch Mama werden dürfe. Hmmm?

Gründe, weshalb ich auch jetzt eine Mama bin:
  • Ich habe meine Tochter 9 Monate in mir getragen. (Spielt sowieso keine Rolle, wie lange!)
  • Ich habe meine Tochter geboren.
  • Ich habe meine Tochter ins Herz geschlossen.
  • Meine Tochter ist im Familienbüchlein eingetragen.
  • Meine Tochter hat von meinem Mann und mir einen Namen bekommen.
  • Ich bin im Mutterschaftsurlaub (Mutter = Mama, oder nicht?)
  • Es gibt Leute, die haben mir zur Geburt gratuliert. Wenn ich geboren habe, dann habe ich ja ein Kind und dann bin ich Mama.

Gründe, weshalb ich jetzt keine Mama bin:
  • Hat jemand eine Idee, weshalb ich keine Mama sein könnte?

Ich glaube also, dass ich zu 100 % Mama bin und es keine Gründe gibt, keine zu sein. Es ist für mich also nicht der geringste Trost, mir zu sagen, dass ich irgendwann dann schon mal Mama werden dürfte.

Ich bin stolz auf meine Tochter, ich bin Mama!


22.8.12

Auch schlechte Tage bringen uns weiter...

Es gibt Tage, da denke ich, ich wäre wieder bereit für alle neuen Herausforderungen. Ich spüre dann, wie der Schmerz weniger wird. Gerade Worte anderer Leute wie "Du bist eine sehr starke Frau!" oder "Wie du mit dem Schicksal eurer Julia umgehst ist echt bewundernswert!" sind Balsam für meine verletzte Seele.

Dann gibt es halt auch die anderen Tage. Sie kommen immer seltener vor, oder zumindest die Dauer solcher Episoden nimmt langsam ab. Doch heute gab's mal wieder einen solchen Tag. Am Morgen musste ich zum Zahnarzt. Das ist natürlich schon mal kein guter Start, denn ich habe fürchterlich Angst vor ihm. Naja, zumindest rede ich mir das ein. Mit diesem Gefühl öffnete ich auch die Türe der Praxis und sass im Wartezimmer. Wenn man eine Stunde warten muss bis man drankommt, können einem schon viele, sehr viele Gedanken und Fragen durch den Kopf gehen.

Als ich dann endlich dran kam, sah ich wieder das grelle Licht, das der Zahnarzt benötigt, um gut zu sehen (oder so...). Genau dieses Licht gab mir den letzten Kick. Es erinnerte mich so sehr an die Zeit im Operationssaal. Dort hatte ich auch immer in das grelle Licht gestarrt. Und nun starrte ich auch in der Zahnarztpraxis in das grelle Licht. Die Angst vor dem Zahnarzt, das grelle Licht und die lange Wartezeit waren zu viel. Die seelische Wunde schien wieder aufgeplatzt zu sein.

Später konfrontierte ich dann meinen Mann noch mit super Fragen: "Denkst du oft an Julia? Vermisst du sie?" Wie konnte ich solche Zweifel haben? Ich weiss, dass mein Mann anders trauert als ich und das ist auch gut so. Aber ich wollte oder konnte es heute nicht akzeptieren, dass er auch wieder andere Probleme hat. Probleme bei der Arbeit. Und mein Problem ist es, dass Julia nicht hier ist. Also kamen Gedanken auf, ob ihm die Arbeit wichtiger wäre als Julia.

Nach einem emotionalen Gespräch und unter vielen Tränen habe ich gelernt, dass auch er unsere Julia vermisst. Einfach anders. Und eigentlich hatte ich das gewusst. Wir sprechen ja viel über unsere Tochter. Ich habe also letztendlich doch etwas gelernt. Julia werden wir wohl immer vermissen, aber der Alltag lässt auch wieder kleinere Sorgen zu. Das ist auch gut so. Ich lernte auch, dass mein Trauerprozess noch lange nicht abgeschlossen ist und wohl immer wieder solche "schlechten" Tage kommen werden. Und doch geht es mir jetzt besser als zuvor. Ich weiss jetzt noch besser, wie mein Mann trauert und dass es völlig normal ist, dass ich Julias Tod anders verarbeite. Was wir beide gelernt haben, dass wir noch viel darüber sprechen müssen/dürfen/sollten. Auch wenn wir immer wieder über das Gleiche reden, es hilft! Uns beiden!

Still

Wir hatten uns so fest auf Julia gefreut. Alles war für sie bereit. Wir hatten Pläne und Träume und liebten sie schon lange vor der Geburt.

Im Lied "Still" von Gerrit Hofsink wird unsere Situation so gut geschildert.





Julia, I love you just the same! 
And in heaven we'll meet again!

21.8.12

Geburt - 2. Teil

Ihr werdet nach diesem Blog-Eintrag verstehen, weshalb ich die Geschichte der Geburt in zwei Teilen geschrieben habe.

Als wir im Gebärsaal ankamen, riet mir die Hebamme, noch einmal zur Toilette zu gehen, da dies die Geburt noch beschleunige. Ich spürte, wie Julia immer weiter nach unten drückte.

Die Hebamme nahm das CTG-Gerät hervor und suchte Julias Herztöne. Da wendete sich das Blatt plötzlich. Von den eben gerade noch so grossen Glücksgefühlen verspürte ich plötzlich eine enorme Angst. Ich konnte nichts hören, die Hebamme auch nicht. Und wir wussten beide, wie die CTG-Geräusche hätten klingen müssen. Diese Angst kannte ich nicht. So etwas hatte ich noch nie erlebt! Ich konnte beinahe nicht mehr atmen, hatte furchtbare Panik, dass es unserem Baby nicht gut ging. Ich bekam sofort eine Sauerstoffmaske und die Hebamme bat meinen Mann, die anderen Krankenschwestern zu holen. In der Zwischenzeit rüttelte und schüttelte sie meinen ganzen Bauch, stellte das Bett schräg, sodass meine Füsse oben waren und mein Kopf unten. Sie hoffte, dass sich das Baby so erholen würde.

Mein Mann kam zurück und fragte, wo denn diese Krankenschwestern wären. Er war noch ganz ruhig, hatte noch nicht das geringste Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. So machte er sich noch einmal auf den Weg, diesmal ein bisschen schneller und kam dann auch sofort mit zwei Krankenschwestern zurück. Meine Hebamme delegierte sofort Aufgaben wie Frauenarzt in den OP bestellen, Kinderarzt, OP-Saal, Infusion organisieren, Bett bringen und selbst suchte sie verzweifelt nach den Herztönen. Während einer Wehe versuchte sie, Julia zurück zu schieben, das tat fürchterlich weh.

Sie übergab das CTG an eine Krankenschwester und steckte mir die Infusion. Ich bekam ein Mittel, das die Wehen sofort stoppte. Immer wieder sagte sie, dass ich tief atmen müsse, dass ich fürs Baby atmen müsse. Ich konnte fast nicht mehr, denn meine Angst war so gross. Ich wurde auf ein anderes Bett gelegt und sofort in den OP gefahren. Im Lift sah ich zum Glück meinen Mann wieder.

Als ich in den OP geschoben wurde, erwarteten uns dort schon viele Anästhesisten und andere Pfleger. Mein Mann wurde wieder weggeschickt, jetzt war ich alleine. Alleine mit ganz vielen Menschen, die sich nun alle um uns kümmern wollten. Ich fühlte mich ausgeliefert und bloss gestellt. Der Anästhesist sagte, er würde eine Rückenspritze geben. Falls diese nicht beim ersten Mal Wirkung zeige, müsse er sofort eine Vollnarkose geben.

Da ich so verkrampft war, konnte ich mich kaum in die richtige Position bringen. Sie zerrten an mir und konnten die Spritze erfolgreich machen. Dann kam auch mein Gynäkologe. Er sagte noch, dass sie aufhören sollten mit desinfizieren, da sie beginnen müssten. Das Tuch wurde beim ersten Schnitt dann noch aufgehängt. Der Anästhesist sagte noch, dass ich die Operation spüren würde, weil sie nicht warten können, bis die Narkose wirkt. Zum Glück kam mein Mann wieder zu mir und sprach mir Mut zu. Er wiederholte immer wieder, dass alles gut komme.

Nach ein paar Minuten Drücken und Ziehen spürte ich, wie mein Bauch zusammensackt. Ich hörte aber kein Babygeschrei. Dieser Moment war unbeschreiblich schwierig. Nachher wurde ich ruhiger. Ich bekam jetzt Sauerstoff durch die Nase und konnte somit wieder sprechen. Zum ersten Mal konnte ich sagen, wie gross meine Angst war. Das tat gut!

Da mein Blutdruck in den Keller fiel, musste ich mich übergeben und verlor die Kontrolle über das ganze Geschehen. Ich sagte meinem Mann noch, er solle beten, ich könne nicht mehr. Er sagte, er wäre schon dran. Für mich war es furchtbar, nichts mehr im Griff zu haben. Ich wusste nicht, wie es um unser Baby steht, konnte nicht dorthin, hatte keine klaren Gedanken mehr.

Die Anästhesisten gaben mir ein Mittel, um den Blutdruck wieder zu stabilisieren. Es kamen immer mehr Leute rein. Immer wieder ging die Schiebetür auf. So kam es auch, dass ich mit ansehen musste, wie unser Baby reanimiert wurde. Diese Bilder verfolgten mich lange und auch heute noch ab und zu.

Durch die Medikamente wurde mein Blutdruck zu hoch. Ich hatte starke Kopfschmerzen und konnte wieder nicht klar denken. Ich sah noch einmal, wie unsere Tochter reanimiert wurde. Nach weiteren Medikamenten ging es mir deutlich besser. Die ruhige Atmosphäre im OP-Saal half mir, mich zu beruhigen und unsere Tochter in guten Händen zu wissen. Ich realisierte, dass ich ohnehin kein Einfluss hätte und auch nicht über Leben und Tod entscheiden konnte.

So warteten wir das Ende der Operation ab. Mein Gynäkologe ging sofort ins Nebenzimmer und kam kurze Zeit zu uns. Er teilte uns mit, dass es sehr ernst um unser Baby stehe. Er gehe sofort zurück zu unserem Baby. Da realisierte auch mein Mann, dass es wohl viel schlimmer ist, als gedacht. Die Anästhesisten kümmerten sich um meinen Mann, der nach einem Zusammenbruch auf dem Boden lag. 

Ich wurde anschliessend auf die Intensivstation verlegt, mein Mann kam mit. Da lag ich nun in einem Einzelzimmer, mein Mann sass neben mir. Wir warteten. Wir wechselten kaum ein Wort. Ich versuchte zu beten. Wir wussten nicht, was wir hoffen sollten. Mir war sehr bewusst, dass unser Baby lange keinen Sauerstoff hatte und deshalb wahrscheinlich ein enorm schweres Leben hätte, würde es denn überleben. Diese Viertelstunde, in der wir alleine waren, nahm fast kein Ende und fühlte sich wie Wochen an.

Dann sahen wir, wie die grünen Gestalten mit Tränen in den Augen zu unserem Zimmer kamen. Unser Frauenarzt voran mit einem Baby, das in einer hellblauen Decke lag. Er sagte: "Da bring ich euch ihr Töchterchen. Sie hat es leider nicht geschafft." Im nächsten Moment übergab er sie uns.

Wir hatten eine Tochter. Sie sah wunderschön, klein und fein aus. Und sehr zufrieden. Alle sagten uns, wie Leid es ihnen tat. Sie liessen uns dann alleine mit unserer Tochter. Wir konnten klingeln, wenn wir etwas haben oder wissen wollten. Ab und zu kam eine Krankenpflegerin vorbei und schaute nach uns, ansonsten hatten wir Zeit mit unserer Julia. Zeit, sie kennenzulernen, Zeit, sie zu sehen, zu riechen und zu fühlen und Zeit, zusammen zu weinen.

Der zweite Teil der Geburt war für mich traumatisch. Ich kämpfe immer wieder mit den Bildern der Geburt. Ich halte mir dann auch vor Augen, dass der erste Teil der Geburt ja sehr schön war und wir während den schlimmsten Stunden unseres Lebens so gut betreut und begleitet wurden.

Ich schreibe ein anderes Mal mehr über Julia, über unsere kurze Zeit, die wir mit ihr noch verbringen durften.


20.8.12

Geburt - 1. Teil

Vom Montag auf den Dienstag konnte ich nicht gut schlafen. Dass die Nächte immer ein bisschen kürzer wurden, war für mich kein Problem. Ich stand wieder auf und liess die Zeit vor dem Computer vorbeigehen. Julia mochte die Geräusche vom Bubble-Spiel. Sie bewegte sich dabei immer hin und her und stupste mich mit ihrem Po.
Um 1.30 Uhr dachte ich, dass ich nun genug müde wäre, um schlafen zu können. So lag ich im Bett, wälzte mich hin und her - bequem wurde es nicht. Dazu kam noch, dass ich das Gefühl hatte, am Abend zu viel gegessen zu haben.
Um 3.30 Uhr weckte ich dann doch mal meinen Mann. Das war unsere Abmachung, dass ich ihn wecke, wenn ich länger nicht schlafen konnte. Er meinte, dass das durchaus Wehen sein könnten. Ich verneinte dies, denn Wehen würden doch weg tun. Fünf Minuten später kriegte ich dann Bauchschmerzen. Nur für etwa 10 Sekunden, dafür aber alle 2 Minuten.

Vier Uhr morgens meinte mein Mann, ich müsse mal die Hebamme anrufen, da ich mich ja zu einem frühen Zeitpunkt melden sollte. Ich zögerte schon, denn ich wusste, dass diese Wehen - wenn es denn überhaupt Wehen wären - noch viel zu kurz sind. Mein Mann bestand aber darauf, so rief ich an. Die Hebamme meinte tatsächlich, dass die Wehen noch viel zu kurz wären. Ich solle mal ein warmes Bad nehmen. Wenn die Bauchschmerzen verschwinden, wäre das ein Zeichen für wilde Wehen, wenn sie stärker würden, wären es die richtigen Wehen. In einer Stunde müsse ich mich noch einmal melden.

So nahm ich ein frühmorgendliches Bad, genoss die Zeit im warmen Wasser und sprach meinem Baby zu, sich auf den Weg zu machen. Immer wieder sagte ich, wie wir uns freuten und es kaum erwarten konnten, es endlich in den Arm zu nehmen. Währenddessen machte sich mein Mann ebenfalls bereit. Nach einer Stunde meinte er, ich solle wieder raus kommen und mit der Hebamme telefonieren. Der Fall war klar, es waren die richtigen Wehen!

Die Hebamme meinte, wir sollen in den Spital fahren, damit sie mich untersuchen könnte. Falls die Wehen wirklich noch zu kurz wären, könnte ich auch wieder nach Hause gehen. In aller Ruhe packten wir unsere Sachen, alle zwei Minuten atmete ich die Wehe weg, dann machte ich die Geburtsanzeige auf meinem Computer bereit und streckte meine Haare. Die Zeit reichte für viele Sachen, eigentlich wollte ich noch gar nicht gehen.

Auf dem Weg in die Klinik begegneten wir keinem Auto, die Strassen waren noch leer. Die Sonne schien und wir sagten noch, dass es heute ein schöner Tag wäre, geboren zu werden.

Kurz nach 6.00 Uhr kamen wir in der Klinik an. Mein Mann machte noch das Rundtelefon, dass er nicht zur Arbeit kommen würde und dann meldeten wir uns beim Empfang an. Eine Hebamme kam runter und fragte mich, ob ich einen Rollstuhl brauchte. Ich verneinte und musste sogar ein bisschen lachen. Mir wurde richtig bewusst, dass es sich wohl noch nicht um die richtigen Wehen handelte. Wir liefen den langen Flur entlang, alle zwei Minute pausierten wir. Die Hebamme meinte auch, dass die Wehen schon noch sehr kurz wären, aber sie gerne mal untersuche.

Im Untersuchungszimmer erklärte sie uns den vorgang und kontrollierte den Muttermund. Sie schnellte hoch und sagte: "Sie haben die halbe Geburt schon überstanden! Ich spüre den Kopf sehr gut und der Muttermund ist schon weit offen! Und das gute ist, die Schmerzen werden nicht mehr schlimmer!" Wow, dachte ich! Das ging ja schnell!

Sie rief meinen Frauenarzt an und sagte uns, dass wir sofort in den Gebärsaal wechseln würden. Unsere Freude war riesig, denn nach neun Monaten warten sahen wir auf einmal das Ende vor uns! Wir waren bereit für unser Baby!

19.8.12

Dankeschön!

Zuerst möchte ich mich bei euch herzlich für die vielen Besuche und die positiven Rückmeldungen bedanken. Ich möchte natürlich versuchen, den Blog aktuell zu behalten und das gelingt mir nur, wenn ich auch ein paar fleissige Leser habe! Ihr seid also meine Motivation!!!

Ich habe auch gemerkt, dass mir das Schreiben hilft, das Erlebte zu verarbeiten, die sehr grossen Wunden zu Narben verheilen zu lassen.

Morgen werde ich über die Geburt berichten. Dieses Kapitel braucht für mich am meisten Überwindung. Ich weiss auch nicht genau, wo ich anfangen und wie weit ich ins Detail gehen soll. Mal schauen!

18.8.12

Finde die Schmetterlinge...


Dieses Foto ist anfangs Juli entstanden. Nun sieht Julias Grab schon wieder anders aus. Aber wir hatten doch schon ein paar Schmetterlinge auf dem Grab. Wie viele findet ihr?

Der letzte Abend vor der Geburt

Dieser letzte Abend war ganz speziell für uns. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass die Wehen schon bald losgehen würden. Und dennoch war dieser Abend anders als andere Abende unter der Woche.

Wir kochten zusammen ein riesen Menü. Das machen wir sonst höchstens an Wochenenden. Nach dem Abendessen drehten wir unsere übliche Runde draussen. Nur nahmen wir uns viel mehr Zeit, schliesslich war das Wetter so schön. Beim Bauenhof waren gerade noch Kälbchen der Hochlandrinder zur Welt gekommen, so schauten wir lange zu, was diese nach der Geburt schon alles machten.

Mein Mann musste gerade mal nicht so viel für die Schule vorbereiten, so konnten wir zusammen einen Film schauen. Gut, ehrlich gesagt bin ich mal wieder eingeschlafen und habe vom Film nicht so viel mitbekommen.

Um zwölf Uhr sind wir dann ins Bett gegangen. Ich erinnere mich gut, wie ich sagte, dass es ein wunderschöner Abend war und wir diese Ruhe auch noch ein bisschen geniessen sollten.

Dass ich diese Ruhe ein paar Stunden später schon fast nicht mehr aushalten würde, hätte ich nie gedacht.

17.8.12

Why? Warum?

Die Frage nach dem Warum kommt manchmal wieder hoch, obwohl ich versuche, die Situation zu akzeptieren, wie sie ist.
Das Lied "Held" von Natalie Grant hilft mir in solchen Momenten Abstand von der grössten Frage aller Fragen zu nehmen.




Two months is too little.
They let him go.
They had no sudden healing.
To think that providence would
Take a child from his mother while she prays
Is appalling.

Who told us we'd be rescued?
What has changed and why should we be saved from nightmares?
We're asking why this happens
To us who have died to live?
It's unfair.

This is what it means to be held.
How it feels when the sacred is torn from your life
And you survive.
This is what it is to be loved.
And to know that the promise was
When everything fell we'd be held.

This hand is bitterness.
We want to taste it, let the hatred numb our sorrow.
The wise hand opens slowly to lilies of the valley and tomorrow.

This is what it means to be held.
How it feels when the sacred is torn from your life
And you survive.
This is what it is to be loved.
And to know that the promise was
When everything fell we'd be held.

If hope is born of suffering.
If this is only the beginning.
Can we not wait for one hour watching for our Savior?

This is what it means to be held.
How it feels when the sacred is torn from your life
And you survive.
This is what it is to be loved.
And to know that the promise was
When everything fell we'd be held.

16.8.12

Die letzte Kontrolle vor der Geburt

Am 4. Juni 2012 hatte ich am Nachmittag die letzte Kontrolle vor der Geburt. Der errechtnete Termin war schliesslich der 7. Juni.

Zuerst durfte ich wieder Julias Herztöne beim CTG hören. Diese Zeit genoss ich sehr und sprach zu ihr, dass es jetzt dann Zeit wäre, auf die Welt zu kommen. Sie bewegte sich von der rechten Seite meines Bauches auf die Linke und wieder zurück.

Sie machte aber nicht den Eindruck, dass sie schon bald kommen wollte, denn die Wehenaktivität war noch auf Null.

Beim Ultraschall stellte der Arzt fest, dass die Durchblutung im Köpfchen ein bisschen an der oberen Grenze sei, jedoch immer noch im Rahmen. Er wolle einfach nicht, dass ich sie lange übertrage und deshalb sollte ich am Freitag wieder kommen, um über die Einleitung zu sprechen.
Er informierte mich noch, dass Julia gleich nach der Geburt untersucht werde, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung sei. Es könne schon sein, dass sie evtl. ein kleines Wasserköpfchen hätte, obwohl die Messungen nicht dafür sprechen.

Ich sagte noch, dass mein Mann und ich abgemacht hätten, dass er unser Baby in den Kinderspital begleiten würde, falls sie verlegt werden müsste.

Zuversichtlich, dass alles gut kommen würde, verabschiedeten wir uns und ich machte einen Termin für Freitag ab.

Bei der Terminvergabe witzelten wir noch, dass es ja schon besser wäre, wenn sie so bald wie möglich käme, da der Terminplan schon ziemlich voll sei.

Guter Dinge verliess ich die Praxis und stellte mich darauf ein, dass ich am Freitag wieder kommen würde.

Was ich noch nicht wusste, es war die letzte Begegnung mit meiner lebenden Tochter. Schön, dass es ihr da noch gut ging!

15.8.12

Footprints in the sand

Dieses Lied (Leona Lewis) hat mir in den letzten paar Wochen immer wieder Trost gespendet:


Der Text von diesem Lied stammt von Margaret Fishback Powers. Sie hat 1964 das Gedicht "Footprints in the sand" geschrieben. Dieses Gedicht wurde unter anderem auch auf Deutsch übersetzt und ist unterdessen in der ganzen Welt bekannt.



Spuren im Sand
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedesmal sah ich zwei Fussspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen
war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur
zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.
Besorgt fragte ich den Herrn:
"Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du
mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am
meisten brauchte?"
Da antwortete er:
"Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie
allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen."

~

14.8.12

Die Schwangerschaft

Julia war ein Wunschkind. Schon vor der Schwangerschaft hatte ich begonnen, Folsäure-Tabletten einzunehmen. Ich dachte mir, dass somit zumindest schon einmal ein Risiko (Spina Bifida) ausgeschlossen werden könne.

Als ich von der Schwangerschaft erfuhr, konnte ich die erste Untersuchung kaum erwarten. Als wir Ende Oktober den ersten Ultraschall hatten, war Julias Herzschlag nicht zu übersehen. Sie schien ein kräftiges Mädchen zu sein.

Im November stand die nächste Kontrolle an. Unglauglich, wie vollständig der kleine Körper schon war und wie sie sich bewegte. Alles schien in Ordnung zu sein. Die Freude war riesig, denn nun kam auch die Zeit, unsere Familien und Freunde darüber zu informieren.

Anfangs Dezember wurde festgestellt, dass ich zu wenig Schilddrüsenhormone produzierte und deshalb zu einem Endokrinolog gehen musste. Eine Woche später bekam ich schon einen Termin und mir wurden Tabletten verschrieben. Von jetzt an mussten wir die Werte gut im Griff behalten. Ich fragte noch, welche Konsequenzen es geben könnte. Der Arzt meinte, dass unser Baby vielleicht in der Entwicklung ein bisschen verlangsamt sei. Im schlimmsten Fall hätte sie keine Schilddrüse und müsste von Beginn an Hormone einnehmen. Davon war er aber nicht ausgegangen.
So blickten wir weiterhin positiv in die nahe Zukunft.


Übel war mir höchst selten, das Erbrechen blieb ganz aus. Die Müdigkeit kannte ich schon von vor der Schwangerschaft. Also eigentlich konnte es mir nicht besser gehen.

Im Februar konnte ich sogar in die Ski-Ferien reisen und die Pisten unsicher machen. Julia meldete sich immer mit ihren feinen Bewegungen, wenn wir im Sessellift sassen. Ja, sie schien Freude am Skifahren zu haben!

Kurz nach den Ferien fand eine Projektwoche statt. Mit 60 Räubern und Polizisten war Julia recht gefordert. Sie bewegte sich tagelang nicht. Dann kam noch diese kleine Blutung und zum Teil starke Bauchschmerzen.

Die nächste Kontrolluntersuchung stand sowieso an, deshalb warteten wir diesen Termin ab. Mein Gynäkologe und vor allem mein Mann überredeten mich, nur noch 50 % zu arbeiten. Das kam ja schön zusammen, da wir gerade noch Besuchswoche hatten. Es passte dort nichts zusammen. Aber nach den anstrengenden Besuchstagen konnte ich ein bisschen abschalten. Darauf reagierte Julia auch. Ich spürte sie wieder viel mehr.


Anfangs April stellte mein Gynäkologe beim Ultraschall fest, dass die Ventrikel im Köpfchen je einen Milimeter zu breit waren. Er untersuchte unser Baby unendlich lange. Da ich nüchtern kommen musste, war meine einzige Sorge in diesem Moment, endlich einen Bissen Brot zu nehmen. Ich realisierte deshalb erst später, dass etwas nicht in Ordnung war.

Da der Arzt keinen Grund für die vergrösserten Ventrikel fand, empfahl er uns, für eine Zweitmeinung zu einem Professor nach Zürich zu gehen. So konnten wir schon die darauffolgende Woche dorthin.

Auch dieser Arzt stellte zwar die vergrösserten Ventrikel fest, untersuchte noch das ganze Baby und kam zum Fazit, dass wohl nichts Schlimmes sei. Julia entwickelte sich gut und ihre Hirnstrukturen sahen prima aus.

So schauten wir den letzten paar Wochen positiv entgegen. Diese Zeit genossen wir auch. Anfangs Mai wurde Julia schon auf 2600 Gramm geschätzt! Also ein grosses Mädchen! Übrigens wollten wir das Geschlecht erst bei der Geburt erfahren.


Da die Rückenschmerzen im Mai immer stärker wurden und die tiefen Kindergartenstühle immer unbequemer, Julia Stress überhaupt nicht leiden konnte, wurde ich dann arbeitsunfähig geschrieben.
In den letzten drei Wochen vor der Geburt verbrachte ich also viel Zeit, ihr Kinderzimmer zu dekorieren, spazieren und schwimmen zu gehen. Auch ging ich in die geburtsvorbereitende Akkupunktur, denn da gab es immer wieder ein CTG. Ich liebte es, ihre Herztöne zu hören!
In der Schwangerschaftsgymnastik stellte ich fest, dass ich schon noch ziemlich fit und beweglich war!

Zusammengefasst war die Schwangerschaft mit Julia einfach einzigartig und wunderschön. Ihre Bewegungen waren zart, sie bereitete mir nie Schmerzen!
Die Zeit mit Julia möchte ich nie im Leben gemisst haben!

13.8.12

Die Traueranzeige



Julia sollte eine feine, bunte Geburts- und Trauerkarte bekommen. Wir haben dabei auf ein Gedicht verzichtet und einfach unser Befinden aufgeschrieben.

Willkommen auf meinem Blog!

Nie im Leben rechnet man damit, sein eigenes Kind gehen lassen zu müssen. Und doch passiert es viel häufiger, als man denkt.
Anfangs Juni starb unsere erste Tochter während der Geburt. Seither ist nichts mehr wie vorher. Plötzlich muss man mit einer Situation zurechtkommen, die nicht zu bewältigen scheint. Und doch schafft man es irgendwie.
Zum Thema Trauerbewältigung, Zurückfinden in den Alltag und wieder Hoffnung schöpfen habe ich wenig Hilfreiches gefunden. Deshalb möchte ich auf diesem Blog meine eigene Erfahrung schreiben. Vielleicht können meine Denkanstösse und Erfahrungen auch andern weiterhelfen, vielleicht hilft es aber auch, unser Befinden besser nachvollziehen zu können.